Herrlich freaky

  • franzi
  • 4. November 2015

Wenn Santa Monica ein Hund wäre, wäre es vielleicht eine hundesalonfähige reinrassige Golden Retriever-Hündin, die sich brav im Körbchen zu deinen Füßen niederlässt, dich einladend anhechelt und Hundeshampoo-Duft ausströmt.

Venice ist anders.

Venice ist ein gestromter Mischlingsrüde, der auf der Straße lebt, sabbert und aus dem Maul stinkt. Er springt dich aus vollem Lauf beherzt an, um dein ganzes Gesicht abzuschlecken und hört nicht auf, mit dem Schwanz zu wedeln. Du willst dich waschen, aber hast ihn trotzdem lieb.

Venice hat in seinem Hundeherz Platz für alle: Für Hippies, Gauner, Jesusfreaks, selbsternannte Künstler, Skater, Prollos, Träumer, Touristen, Dealer, Bodybuilder, Normalos, Models und Penner.
Und sie versammeln sich alle an der Strandpromenade, dem Ocean Front Walk…

Am Anfang des Weges sitzt ein Rastafari in seiner Strandmuschel, die Dreadlocks hängen ihm über die verspiegelten Brillengläser, und trommelt. Hinter ihm sitzt ein sehr weißer Mensch mit Glatze, karierter kurzer Hose und Khakishirt, der voller Enthusiasmus eine kleine Rassel als Begleitung zum Getrommel schüttelt und grinst. An dem seltsamen Paar fährt ein lässiger Typ auf seinem Skateboard vorbei und hält einen Rehpinscher auf dem Arm. Einer süßer als der andere. Sie weichen einer Dame aus, die in weißem Kleid und weißen Sandalen vorbeistolziert und gerade die Krempe ihres ebenfalls weißen Sonnenhutes aus ihrem ebenmäßigen Gesicht streicht. Sie nimmt ihren braungebrannten Ray-Ban-Sonnenbrillen-Mann an der Hand und zieht ihn zum Stand eines jungen Künstlers, der Müll zu Kunstwerken verarbeitet hat.

Nach ein paar Metern sieht man eine Filiale der Green Doctors – „medical“ Marihuana schon ab 40 Dollar. Zwei Typen in grünen Klamotten sitzen davor und chillen. Einer spuckt seinen Kaugummi auf den Boden, durch den ein cooler Latino auf seinem Hover Board fast durch fährt. An der Abzweigung einer Seitengasse stehen zwei leichtbekleidete Mädels, kichern und sehen gut aus. Der Hover Board Fahrer nimmt eine der beiden auf den Arm und dreht eine Runde mit ihr, wobei er breit grinst – blingbling. Sie kichert noch mehr und sieht immer noch gut aus.

Ein paar Hippies verkaufen Klangschalen und Ponchos. Ihr Stand verströmt Räucherstäbchenduft und Frieden. Vielleicht waren sie es, die eine seltsame Menschengruppe veranlasst haben, wenige Schritte weiter zusammenzukommen: Ein paar sehen aus wie betuchte Rentner, andere sind guten Gewissens als Gammler zu bezeichnen; ein junges Mädchen, vielleicht Collegestudentin, sitzt neben einem Mann mittleren Alters mit Strohhut und Sunnyboy-Lächeln. Alle trommeln. Es riecht nach Gras.

In einer schattigen Nische haben es sich ein paar Obdachlose bequem gemacht. Eine faltige Frau mit schlechten Zähnen zetert lautstark und wedelt mit den Armen durch die Gegend. Sie krächzt immer wieder einem ihrer Kumpanen zu: „Next time you go to jail!“

Irgendwann sieht man eine Menschentraube, die fast den gesamten Gehweg blockiert. Aus Lautsprechern tönt ein populärer Hip-Hop-Song, der ab und zu von der Stimme eines jungen Mannes unterbrochen wird. Er preist die Tanzkünste seiner Kollegen an, die in der Mitte des Kreises Breakdance Einlagen zum Besten geben. Dann fangen sie an, Leute aus dem Publikum zu sich zu holen: ein Asiate mit Kamera, ein reicher weißer Mann, ein heißer Latino und weitere sollen sie bei ihrer Show unterstützen. Die Stimmung ist gut. Es wird viel gelacht und geklatscht, gejubelt und gejauchzt.

Weiter Richtung Meer gelangt man ins Reich der Rollen und Räder von Venice. Auf der Skaterbahn werden talentierte Skater von Zuschauern bei ihren waghalsigen Tricks und Sprüngen bestaunt. Ein paar der Jungs sind noch sehr jung, aber schon so richtig cool. Jemand filmt die Skater. Ein paar französische Jugendliche unterhalten sich angeregt übers Skaten. Ein Typ zieht seinen angeleinten Hund auf einem Skateboard hinter sich her.

Auf dem Radweg fährt ein Pärchen auf Liegerädern vorbei. Sie haben Kameras an ihre Helme montiert. Unmittelbar nach ihnen radelt jemand pfeifend vorbei, der auf seinen Mini-Anhänger ein Werbeplakat montiert hat. Als ein Volltätowierter auf seinem BMX vorbei cruist, grinst ihn ein blondes Mädchen in Sommerkleid und Trekking-Sandalen begeistert an.

Daneben das Rollschuhareal. Aus den Boxen drönt „na na na naaa don’t phunk with my heart“ von den Black Eyed Peas. Von der Musik berauscht zeigt eine Lady mit schwarz-weiß gestreiftem Hemd und schwarzen Hot Pants, was sie kann. Auf ihren schicken Rollschuhen dreht sie mit ausgebreiteten Armen graziös ihre Runde. Sie umkreist einen mokkafarbigen knackigen älteren Herren in langer Adidas-Trainingshose, schwarzem Muscleshirt, Sonnenbrille und Goldkette, der elegant die Hüften kreisen lässt und dezent mit dem Popo wackelt.

Ein knalloranges Haus, auf dem Muscle Beach steht, zieht die Blicke auf sich. Davor gibt es ein eingezäuntes Areal mit Fitnessgeräten. Die Trainierenden sind ebenfalls Geräte. Es ist ein bisschen wie im Zoo wegen der Schaulustigen und des Zauns. Und der merkwürdigen Lebewesen im Zaun. Bodybuilder sind halt eine eigene Art.

Gegen Ende des Ocean Front Walks, etwas abseits und erhöht, steht ein junges Mädchen, das ihre Freundin in den Arm nimmt und für ein Selfie posiert. Dann macht sie eine ausholende Armbewegung. Vielleicht sagt sie zu ihrer Freundin: Schau, wie herrlich freaky es hier ist!

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