Baumdinosaurier

  • franzi
  • 18. November 2015

Mehr als zwei Wochen ist unser Trip in den Sequoia National Park her, aber immer wieder schwelge ich in Erinnerungen an grandiose Landschaften und beeindruckende Mammutbäume.

An einem Freitag Mittag machten wir uns auf den Weg über die autoverstopften Straßen raus aus LA und über den Freeway gen Norden. Es war schon stockdunkel, als wir die Grenze des Nationalparks passierten, doch nach ein paar Meilen fanden wir trotzdem problemlos unseren Campingplatz. Das Zelt machte uns auch keine Probleme, sondern ließ sich erstaunlich einfach aufbauen.

Wir verstauten unser Essen ordnungsgemäß in der Bear Box, nachdem uns zahlreiche Schilder darauf hingewiesen hatten, dass Bären Nahrungsmittel von Menschen total lecker finden und um da dran zu kommen sogar schon mal in Autos einbrechen. Außerdem wurden wir informiert, dass die richtige Verhaltensweise im Falle eines Bärenbesuches nicht etwa darin besteht, seine Essen Essen sein zu lassen und die Flucht anzutreten. Stattdessen solle man seine Lebensmittel zusammenpacken und den Bären mit kleinen Steinen und Stöcken bewerfend anschreien, ihn am besten aber nicht am Kopf treffen. Also ich als Bär wär ja ganz schön angepisst, wenn mich popelige Menschen mit irgendwelchem Zeugs bewerfen und anbrüllen würden. Ich würde dann ganz lapidar nicht nur ihr Essen auffressen. Aber ich bin ja zum Glück kein Bär.

Nach Gute-Nacht-Bier und -Wein ging es ab in den Schlafsack. Basti schlug vor, ich solle im Falle eines nächtlichen Bären- oder Kojoten-Angriffes das Vieh in den Schwitzkasten nehmen und ihm die Kehle durchschneiden. Eh klar. Attacken aller Art blieben jedenfalls aus und die Nacht verlief friedlich und unblutig.

Am nächsten Morgen wurden wir von der schönen Aussicht draußen begrüßt, der Campingplatz lag zwischen Bergen, die von der Sonne angestrahlt wurden. Auch beim Frühstücken ließ sich kein Bär oder Ähnliches blicken, worüber wir nicht allzu traurig waren.

Wir setzten uns wieder in unseren Mietwagen, eine kleine blaue Knutschkugel und machten uns auf den Weg weiter in den Park. Über schmale Straßen ging es bergauf und mir blieb vor lauter „Wows“ der Mund offen stehen. Die rötlichen Felsen der Foothills, dem niedriger gelegenen Teil des Parks, mit ihren seltsamen distelartigen Gewächsen wurden von nadelbaumbewachsenen grauen Felsen abgelöst, als wir weiter ins Herz des Parks fuhren. Ein toller Ausblick auf Berge und Täler folgte dem nächsten und die Freude wuchs. Schon ein paar Meter hinter dem Hinweisschild „Giant Forest“ wollten wir aus dem Auto raus. Die ersten Baumriesen waren unübersehbar und zogen uns an wie das Licht die Motten.

Der Giant Forest ist richtig magisch. Das Sonnenlicht fällt zwischen Stämmen und Baumkronen durch, sprenkelt den Boden und veranstaltet ein Spiel aus Licht und Schatten. Es knistert und knarrt und kracht und knarzt. Bäume reihen sich aneinander und stehlen sich gegenseitig Sonnenlicht. Und zwischendrin diese fetten Stämme mit der rötlichen Rinde, die sich manchmal seltsam weich und seidig anfühlt, obwohl sie so fest und kratzig aussieht.

Die Mammutbäume sind merkwürdige, aber sehr faszinierende Geschöpfe. Sie sehen manchmal knubbelig aus, der Stamm wirkt im Verhältnis zur Krone überdimensioniert und viele haben riesige schwarze Feuernarben. Im Giant Forest gibt es viele teilweise verheerende Waldbrände, die Unmengen an Pflanzen und Tieren dahin raffen können. Die Sequoias aber sind daran angepasst. Bei großer Hitze sondern sie eine Flüssigkeit über ihre Rinde ab, um ihr Innerstes zu schützen. Manchmal frisst sich das Feuer trotzdem in die Rinde und hinterlässt Flecken von schwarzem verbrannten Holz oder höhlt den Stamm förmlich aus.

Aber das Feuer zerstört nicht nur, es verhilft auch zu neuem Leben. Erst bei großer Hitzeeinwirkung gehen die Sequoia-Zapfen auf und die Samen können herausfallen. Wenn das Unterholz wegbrennt, kann wieder mehr Sonnenlicht bis zum Boden dringen und auf der Asche gedeihen die zuerst winzig kleinen Sequoia-Samen. Wie alt sie werden können, kann man nicht genau sagen. Die ältesten Exemplare werden auf 2500 bis 4000 Jahre geschätzt, also einfach verdammt alt.

So steht man da voller Ehrfurcht vor diesen uralten Riesen, die sogar dem Feuer trotzen. Denen weder extreme Hitze noch Schnee und Eis etwas anhaben können. Und es fühlt sich an wie in einer anderen Zeit. Als ob hier die Uhren einfach stehen geblieben wären und hinter dem nächsten Mammutbaum ein Dinosaurier auf dich wartet, der genüßlich ein paar Zweige mampft. Und du so: „Hey, Brachiosaurus, what’s up?“

Natürlich gibt es im Sequoia National Park einige ausgewiesene Attraktionen, die man als Tourist so besichtigt. Wir sind zuerst auf den Moro Rock gestiegen, an so manchem vor Anstrengung fluchenden oder vor Höhenangst zitterndem Besucher vorbei. Der Ausblick war es aber wirklich wert! In der Nähe des Moro Rock gibt es einen Tunnel Log, ein umgefallener Mammutbaum, in den man eine Durchfahrt für Autos geschnitten hat.

Vielleicht die bekannteste Sehenswürdigkeit ist der General Sherman Tree, der Baum mit dem größten Stammvolumen der Welt. Er ist über 83 Meter hoch und an der Stammbasis hat er teilweise mehr als 11 Meter Durchmesser. Auf einer Höhe von 55 Metern kann er immer noch einen Durchmesser von mehr als 4 Metern vorweisen.

Außerdem haben wir eine kleine Wanderung um eine Lichtung gemacht, wo es an einer Stelle unglaublich viele Marienkäfer gab. Ich möchte nicht wissen, wie viele davon wir auf dem Gewissen haben… Aber ab einem gewissen Punkt war es nicht mehr möglich, einen normalen Schritt zu machen ohne eine ganze Horte von Käfern zu zertreten. Beim anschließenden Picknick ließ sich ein kleiner Chipmunk (Streifenhörnchen) blicken, der ziemlich nah kam und uns ein Lächeln ins Gesicht zauberte. „Wenn ich Einsiedler werde, dann hier.“, meinte ich zu Basti. „Wobei…ist wahrscheinlich gar nicht so angenehm mit dem Feuer und den Bären.“, und in Gedanken fügte ich hinzu: „Und mit den Dinosauriern.“

Zurück am Campingplatz gab es gegrillte Würstchen am Stock über Instant-Grillkohle, Dosenbier und einen wunderschönen Sternenhimmel. Voll Low-Budget-romantisch. Ich konnte mein Glück kaum fassen.

Am Sonntag früh schlossen wir Freundschaft mit einem unglaublich putzigen Nagetier, einem kalifornischen Ziesel. Ist sowas wie ein Eichhörnchen, wohnt aber in der Erde. Jaa, ich geb zu, wir haben’s ein bisschen gefüttert, obwohl man das natürlich nicht soll. Es knabberte vor sich hin (so süß das Ding) und ließ sich aus der Nähe fotografieren.
Anschließend packten wir unsere Sachen und machten uns auf den Weg, diesmal durchquerten wir den Sequoia National Park und fuhren in den angrenzenden Kings Canyon National Park.

Die Landschaft wurde felsiger und rauer, je weiter wir fuhren. Einmal standen ein paar Maultierhirschkälber im Wald neben der Straße und guckten uns dumm an mit ihren Knopfaugen und Segelohren.

Im Kings Canyon Park steht der General Grant Tree, der zweitvoluminöseste noch lebende Baum. Wie der General Sherman Tree gehört er zur Art der Berg- oder Riesenmammutbäume, die größere Stammdurchmesser als die Küstenmammutbäume erreichen, aber dafür nicht so hoch werden.

Bei einem Stopp am Visitor Center gab es große Aufregung: EIN BÄR! Ein Bärenjunges ist wohl durch ein Feuer von seiner Mutter getrennt worden und streifte in der Nähe des Visitor Centers herum. Gefährlich war die Situation nicht, der Bär war ein Stückchen entfernt. Aber immerhin haben wir so dann doch noch unseren Bären gesehen.

Im Tante-Emma-Laden neben dem Besucherzentrum deckten wir uns mit Chunkfood ein, legten noch einen Halt beim Big Stump Trail ein, wo man Mammutbaumstümpfe aus Vor-Nationalpark-Zeiten sehen kann und traten dann die Heimreise an. Basti jagte unsere kleine Knutschkugel die kurvigen Straßen runter und ich konnte die Aussicht genießen. Nachdem wir die Nationalparkwälder verlassen hatten, fanden wir uns im Wilden Westen wieder. Kühe und Pferde standen in Gattern auf trockener Erde, die im Abendlicht golden und orange leuchtete. Eine Kneipe im Salonstil verströmte Frittierfettgeruch. Die Sonne ging unter, wir fuhren durch die Prärie zurück gen Süden und ein wunderschöner Ausflug nahm sein Ende.

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